Strommasten, Mikrowellen, „Elektrosmog“ – Kritik an und Debatten über elektromagnetische Strahlung kennen wir aus jüngerer Zeit. Aber hat das auch eine Vorgeschichte? Wie alt ist die Sorge um (nicht-radioaktive) Strahlung und wer hat diese Kritik vorgebracht? Darüber ist bisher selbst unter Fachleuten wenig bis nichts bekannt.

Ziel des Vorhabens ist daher die diskursgeschichtliche Aufarbeitung der gesellschaftlichen und (pseudo-)wissenschaftlichen Kritik des technologischen Infrastrukturausbaus im Zusammenhang mit statischen/niederfrequenten elektrischen und magnetischen sowie hochfrequenten elektromagnetischen Feldern (Sammelbegriff: EMF) für das Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland ab 1871. Als Ergebnis sollen empirische und systematische Einsichten über die Struktur, Funktion und Dynamik des Diskurses gewonnen und darauf aufbauend Empfehlungen für die Risikokommunikation des BfS erarbeitet werden.

Die mit dieser Aufgabe verbundenen Herausforderungen sind vielfältig. Die Studie erstreckt sich auf den sehr langen Zeitraum seit 1871 bis heute. Während dieser Zeit haben sich nicht nur staatliche, gesellschaftliche, wirtschaftliche, rechtliche und technische Strukturen und Verhältnisse grundlegend geändert, sondern auch die Präsenz von Technik im alltäglichen Leben von Menschen. Während die Elektrotechnik vor 150 Jahren noch in den Kinderschuhen steckte, ist sie heute allgegenwärtig und aus dem Alltag kaum wegzudenken. 

Darüber hinaus haben sich sprachliche, wissenschaftliche und Wissens-Strukturen massiv verändert. Viele Begriffe, Weltsichten, akzeptierte Argumentationsweisen, Stand von Wissenschaft und Technik, aber auch das in der Gesellschaft vorhandene Wissen sind heute völlig anders strukturiert als vor 150 Jahren. Wissen und Einstellungen haben sich rasant verändert, nicht zuletzt durch die Verbreiterung des Zugangs zu Bildung und Wissenschaft. Mit diesem Wandel einher gehen neue Möglichkeitsbedingungen für Diskurse mit entsprechenden Öffentlichkeiten, Einstellungen zu und Artikulierungsformen von Kritik und deren gesellschaftliche Akzeptanz. All dies erfordert eine kontextsensible Untersuchung, die Einsichten aus technik-, wirtschafts-, politik-, umwelt-, kultur-, rechts- und gesellschaftsgeschichtlichen Zugängen einbringt.

Für diese Aufgabe bietet sich methodisch ein diskursgeschichtlicher Zugang an, der sprachliche Phänomene und sprechende Akteure zusammenführt und relevante Kontexte systematisch einbezieht. Für diese Studie wird ein pragmatisch-explorativer Zugang gewählt, denn sie wagt sich auf bisher wenig erforschtes Gebiet vor.

Zunächst wird der Stand von Wissenschaft und Technik anhand von Sekundärliteratur identifiziert. In einem weiteren Schritt werden Archivgüter unter anderem in staatlichen, wissenschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Archiven recherchiert. Auch die Archive von Unternehmen und Unternehmensverbänden werden berücksichtigt. So sollen empirische und systematische Einsichten über die Struktur, Funktion und Dynamik der Kritik des technologischen Infrastrukturausbaus im Zusammenhang mit EMF über den Zeitraum von mehr als 150 Jahren gewonnen werden. 

Als methodische Herangehensweise wird eine historische Diskursanalyse gewählt. Sie umfasst fünf unterschiedliche Ebenen: 

(1) die (sprachliche) Struktur, also die „Ordnung des Diskurses“, bestehend aus bestimmten Begriffen, Begriffszusammenhängen und Argumentationsmustern (Topoi), Frames, und Narrativen;

(2) eine Akteursanalyse zur Identifizierung der zentralen Akteure bzw. Akteursgruppen und ihrer unterschiedlichen Rollen;

(3) die Ermittlung etwaiger wirtschaftlicher, politischer, oder rechtlich-regulativer Folgen des EMF-Diskurses;

(4) die Verbindung zwischen Argumenten und Akteuren im Zeitverlauf: Können den Akteuren feste Argumentationsmuster zugeschrieben werden oder entwickelten sich Positionen im Zeitverlauf dynamisch?

(5) die Beziehung von Experten- und Laienwissen im Diskursverlauf: Welche Akteure haben wissenschaftlichen Argumenten vertraut bzw. sich dagegengestellt?

Die Ergebnisse sollen für das BfS hilfreich sein, um zukünftig diesem und ähnlichen Phänomenen in der Gesellschaft besser zu begegnen.